Geschichte
 
         
    Die Starkbierzeit wird auch die "5. Jahreszeit" genannt: Zwischen Winter und Frühjahr bzw. zwischen Fastnacht und Ostern versüßen sich die Bayern die karge Fastenzeit mit nahrhaftem Starkbier. Denn die trickreichen Paulaner Mönche (Ordensgründer Franz von Paula) haben schon 1630 herausgefunden: "Flüssiges bricht das Fasten nicht". So brauten sie "flüssiges Brot", das satte 7,5 (früher sogar bis zu zehn) Prozent Alkohol enthält und eine Stammwürze von rund 18 Prozent hat (der Stammwürzegehalt ist lt. Meyers Lexikon "die in Prozent angegebene Menge an löslichen Substanzen in der Würze des Bieres vor Eintritt der Gärung; er liegt zwischen zwei und 18 Prozent").

Das echt starke Bier der Paulaner Mönche gibt es seit 1634. Es hieß zunächst "Heilig Vater-Öl", auch "Herrenbier" und später "Sankt-Vater-Bier". Daraus entwickelte sich Anfang des 19. Jahrhunderts der Name "Salvator". Der Name wurde 1896 durch das Kaiserliche Patentamt geschützt. Konkurrierende Brauereien nannten ihre Hochprozenter fortan zum Beispiel Triumphator, Maximator, Optimator, Agitator, Bierator, Duplikator, Eldorator, Aligator ... Über 160 verschiedene Starkbiere gibt es inzwischen.

Weit über die bayerischen Weißwurstgrenzen hinaus bekannt ist der alljährliche Auftrieb der Promis zum Auftakt der Starkbierzeit auf Münchens höchstem Berg, dem Nockherberg. Beim traditionellen Starkbieranstich (bei der Salvatorprobe) im früheren Salvator- und heutigen Paulanerkeller, wird der Prominenz nicht nur Freibier eingeschenkt, sondern die Großkopferten werden seit 1891 (bis zur Nazizeit und wieder seit 1951) deftig derbleckt (auch: "dableckt" = verspottet).

Als Großkopferte werden im "Neuen Bayerischen Wörterbuch" "Reiche und auf Grund ihres Reichtums Mächtige" bezeichnet, das sind heutzutage die Politgrößen aller Parteien (allen voran der Bayerische Ministerpräsident und der Münchner Oberbürgermeister, gefolgt von der Politprominenz aus dem fernen Berlin) und andere "very important people" aus Wirtschaft, Sport, Kultur, Gastronomie.

Frater Barnabas Still hieß der Braumeister der Paulaner Mönche, der von 1773 bis 1795 das "Herrenbier" braute und nach dessen Grundrezept der Salvator noch heute gebraut wird. Darum liest in der Regel "Bruder Barnabas" den Promis beim Anstich die Leviten. Von 1922 bis zur Hitler-Diktatur war das der Weiß Ferdl. Während der Nazizeit fiel das Derblecken aus. Alfons Gondrell ("Ein Münchner im Himmel") war 1951 (nachdem der zerbombte Salvator-Keller wieder aufgebaut war) der erste Nachkriegs-"Barnabas". Der Roider Jackl derbleckte die Prominenz in den 60er, bis Anfang 70er Jahre ohne Kutte, aber mit Gstanz'l (Lästergesang). Bis 1979 brachte der unvergessene Regisseur, Dramaturg, Buffo, Kabarettist und BR-Rundfunkplauderer Emil Vierlinger ("1, 2, 3, Vierlinger") als Autor und Interpret mit feinen, aber ungemein treffsicheren Bosheiten den bierdampfigen Saal rund um die Derbleckten zum Tosen, danach erklomm Volksschauspieler Michl Lang die Salvatorrampe.

Sein Nachfolger als Fastenprediger war von 1982 bis 1990 - und erstmals mit Texten von Hannes Burger - Schauspieler Walter Sedlmayr, der als grantelnder Münchner im Trachtenanzug auftrat. Über Sedlmayr schrieb die Münchner Abendzeitung: "Sedlmayr konnte so infam-hinterfotzig sprechen, daß er in seinen besten Zeiten selbst noch einem Komma in Hannes Burgers Manuskript eine Gemeinheit entlockte."

Im Frühjahr 1991 fiel das gesamte Salvatorspektakel wegen des Golfkrieges aus. Von 1992 bis 1996 nahm Max Griesser und 1997/98 Erich Hallhuber, jeweils in der Mönchskutte und nach Texten von Hannes Burger, die Hautevolee aufs Korn.

Wer - und wie wer - derbleckt wird (bei der Bußpredigt oder/und im mindestens so frechen "Salvatorspiel"), bleibt jedes Jahr bis zuletzt streng geheim. Beim "Salvatorspiel" war zum Beispiel lange Jahre Michael Fitz' Onkel, Walter Fitz, der beste Franz-Josef-Strauß-Imitator aller Zeiten. Michael Fitz' Vater, Gerd Fitz, brillierte wechselweise als Hans Jochen Vogel, Hans Dietrich Genscher und zuletzt als Bayerischer Kultusminister Zehetmaier, und Michael Lerchenberg gab die letzten Jahre einen perfekten Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber.

Über besonders g'scherte (gemeine) Beleidigungen sauer sein, gilt nicht. Da muß jede/r Derbleckte - zwar zähneknirschend, aber maßkrugprostend und (nicht selten verbissen) grinsend - durch. Denn: Nur wer beim Derblecken ("Dablecka") nicht erwähnt wird, ist out, und nur der oder die darf dann "schaung wiara Schwaiberl, wenn's blitzt" ("schauen wie eine Schwalbe, wenn es blitzt" = "völlig verdutzt blicken").

Ähnlich wie eine Schwalbe, wenn es blitzt, schauen bereits im Vorfeld jeden Starkbieranstichs jene Menschen aus der Wäsche, die erst gar nicht eingeladen sind. Nur rund 600 handverlesene Gäste werden Jahr für Jahr zum gesellschaftlichen Großereignis gebeten. Wer zu den Auserwählten zählt, die pro Starkbierprobe rund 1.200 Maß Freibier schlucken dürfen, bestimmt allein der Wirt. Vor und nach dem Anstichtag leben die Münchner Zeitungen jedenfalls von Schmonzetten bis hin zu schlagzeilenträchtigen Skandalen, die sich vor und hinter den Kulissen anbahnen bzw. eventuell anbahnen könnten.

Bayern 1 ist während der Live-Reportage vom Nockherberg der beliebteste Hörfunksender im Freistaat. Und die TV-Übertragung vom Starkbieranstich "Auf dem Nockherberg", seit 1978 Tradition, führt alljährlich mit Abstand die Quotenhitliste des Bayerischen Fernsehens an. "Auf dem Nockherberg" belegte so auch 1998 wieder unangefochten Platz 1: Die 75-Minuten-Sendung vom 15. März letzten Jahres wurde in Bayern von 1,912 Millionen Zuschauern gesehen (Marktanteil: 44,3 Prozent) und in ganz Deutschland außerhalb Bayerns via Satellit oder Kabel von 2,562 Millionen.

Quelle: http://www.br-online.de